Dichter, die weissagen

"Denn in ihm leben und weben und sind wir, wie auch einige eurer Dichter gesagt haben: Denn wir sind auch sein Geschlecht."
Apostelgeschichte 17,28.

Dichter sind besondere Menschen. Sie laufen schon mal neben der Spur. Manche Exemplare wirken weltfremd und verpeilt. Sie brauchen Hilfe. Doch sensibel wie sie sind, erfassen sie Zusammenhänge, die praktischer veranlagten Zeitgenossen verborgen bleiben.
Sie sind brillant.
Dichter sagen manchmal erstaunliche Dinge. Manche ihrer Gedichte sind die reinsten Prophetien. Paulus hat diese Tatsache in Athen aufgegriffen, als er auf dem Areopag das Evangelium predigte und dabei den Dichter Aratus aus seiner Heimat Cilicien zitierte.

Ich wiederum bin über zwei deutsche Gedichte gestolpert, die mich fasziniert haben. Das erste ist von Stefan George, einer eher unappetitlichen Person. Doch hier soll es ja um die seherischen Qualitäten gehen. George spricht im Chaos des Jahres 1919 den Wunsch aus, dass die Zeit

„Den einzigen, der hilft, den Mann gebiert …
Der sprengt die Ketten, fegt auf Trümmerstätten
Die Ordnung, geißelt die verlaufenen heim
Ins ewige Recht, wo Großes wiederum groß ist,
Herr wiederum Herr, Zucht wiederum Zucht. Er
heftet
Das wahre Sinnbild auf das völkische Banner.
Er führt durch Sturm und grausige Signale
Des frührots seiner treuen Schar zum Werk
Des wachen Tags und pflanzt das Neue Reich.“

Also das dritte.
Damals war das zweite Deutsche Reich, (das erste war bis 1806 das Heilige Römische), gerade im Weltkrieg untergegangen. Hitler war noch ein unbekannter Gefreiter und eine NSDAP mit blutrotem Banner samt schwarzer Spinne im weißen Kreis gab es auch noch nicht. Es gab kein Reichsparteitagsgelände und keine Aufmärsche mit Lichtdomen aus Flakscheinwerfern, keine eiserne Faust, die für Ordnung sorgte und den jüdischen Teil des Volkes mit grausigen Signalen malträtierte. Und doch scheint das Gedicht genau hiervon zu handeln.
Bemerkenswert.

Mindestens genauso erstaunlich ist, was Georg Heym 32 Jahre vor der Vernichtung Hamburgs durch alliierte Luftangriffe dichtete:

„Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühenden Trümmern steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,
Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Dass er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.“

Die Air Force-Aktion von 1943 hieß zufällig „Operation Gomorrha.“
Heym sah das bereits 1911, als es kaum Flugzeuge und schon gar keine Lancaster-Bomber oder Fliegende Festungen gab und Gomorrha sich ausschließlich auf eine göttlich gerichtete Stadt in der Bibel bezog. 1911 war eigentlich ein ruhiges, sattes, selbstzufriedenes Jahr. Der Erste Weltkrieg war noch drei Jahre weit weg. Und doch schrieb der Dichter damals diese düsteren Zeilen voller Vorahnung.
Wiederum: Bemerkenswert.

In der Bibel besteht ein ganzes Buch nur aus Gedichten: Der Psalter. Es gibt Lobpreispsalmen, Rachepsalmen, prophetische Psalmen, Klagepsalmen, tröstende Psalmen, laute Psalmen, leise Psalmen und noch mehr. Im Original reimen sie sich meist und klingen viel besser als in unseren oft holprigen Übersetzungen.
Zu mir persönlich spricht vor allem Kapitel 23:

Ein Psalm. Von David.
Der HERR ist mein Hirte.
Mir wird nichts mangeln.
Er lagert mich auf grünen Auen.
Er führt mich zu stillen Wassern.
Er erquickt meine Seele.
Er leitet mich in Pfaden der Gerechtigkeit um seines Namens willen.
Auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unheil,
denn du bist bei mir.
Dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde
Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt.
Mein Becher fließt über.
Nur Güte und Gnade werden mir folgen alle Tage meines Lebens
Und ich kehre zurück ins Haus des HERRN lebenslang.

Zeitlos und gut.
Voll göttlicher Glut.
Amen.

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