Im Einklang mit der Natur leben?

"Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen worden, nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin, daß auch selbst die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit freigemacht werden wird zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes."
Römer 8, 20-21.

Elstern gehören nicht zu meinen Lieblingsvögeln. Sie sind laut, unverschämt, treten bandenweise auf und terrorisieren kleinere Vögel.
Sie sind Nesträuber.
Sie pflaumen in der Luft schon mal einen Bussard an. Dabei will der brave Mäusejäger doch nur seine Kreise ziehen. (Beim Grifftöter Habicht mit seinen Killerkrallen würde sie sich das nie trauen). Außerdem sind sie Diebe.
So hat es mich nicht übermäßig interessiert, dass ein fleißiges Elsterpaar hoch in einem Baum einen Reisigkobel errichtet hat, ein schwarzes, knorriges Kugelnest, wie Elstern es halt so bauen. Dann haben sie sich vermehrt—dann aber wurde es spannend.
Elstern sind Rabenvögel. Sie sind nicht klein. Doch es gibt größere Rabenvögel. Den Kolkraben zum Beispiel, unseren größten Singvogel. Der ist fast so groß wie ein Bussard, nur nicht so gemütlich.
Eines Tages fiel mir nämlich ein großer schwarzer Schatten auf, der um das Elsternest herumschwirrte. Es war ein solcher Rabe. Die beiden Elstern, denen das Nest gehörte, keckerten und schimpften und attackierten zaghaft. Doch der Rabe, der einen größeren Schnabel hat als eine Elster, blieb hart. Mit bräsiger Entschlossenheit wehrte er die kämpfenden Eltern ab und flog immer wieder zum Kobel, wo er sich am Inhalt bediente. Kamen die Eltern angepfiffen, ließ er sich behäbig auf einen niedrigeren Ast fallen und wartete. Er hatte scheinbar alle Zeit der Welt. Und Hunger.
Dann saß er wieder auf dem Nest und fraß, während ihn die Elstereltern in respektvoller Entfernung ausschimpften.
Eine dritte Elster kam herbeigeflogen, setzte sich auf einen Ast und gaffte. Eingegriffen hat sie nicht. Ging sie ja auch nichts an. Irgendwann flog der Gaffer wieder weg. Dann flog der Rabe weg und dann die beiden nunmehr kinderlosen Eltern. Dieses Jahr wurde es nichts mit ihrer Brut. Weil ein Rabe Hunger hatte.
Seitdem pfeift der Wind durchs leere Nest.
Neulich hat sich allerdings ein Turmfalke den geplünderten Kobel angeschaut. Dieser Falke im braunen Gewand und mit grauem Stoß ist etwas kleiner wie eine Elster. Prompt kam wie aus dem Nichts eine solche daher und scheuchte den Falken davon. Der ließ sich auf keinen Streit ein und ging. Doch neulich saß er wieder auf dem Kobel und keine Elster kam, um ihn zu verscheuchen. Manchmal braucht man eben einfach nur ein wenig Geduld...

Wer zurück will zur Natur, der hat in Wirklichkeit keine Ahnung.
Im Einklang mit der Natur zu leben, bedeutet in der Realität, auf das Recht des Stärkeren zu rekurrieren. In der Natur setzt sich nun mal der Größere mit dem längeren Schnabel durch. Konzepte wie Gnade oder Barmherzigkeit gibt's hier nicht. Für die menschliche Gesellschaft ist das suboptimal.

Freitagabend war es sonnig und warm, und so habe ich mich ein wenig auf einen hölzernen Turm an einen malerischen Waldrand gesetzt, wo ich mir ohne abgelenkt zu werden ein paar Gedanken machte. Als es zu dämmern begann, steckte ich mein Buch weg und griff zum Feldstecher, denn ein posierender Hase lud mich ein, ihn durchs Glas zu studieren. Wildtiere haben eine lässige Eleganz, über die ich mich immer wieder freue. Form und Funktion sind da eine brillante Verbindung eingegangen. Und das soll Zufall sein?
Ein wenig später hüpfte mit langen Sätzen ein seltsames Eichhörnchen auf den Schotterweg, wo es witternd verharrte.
Das war gar kein Eichhörnchen. Dazu war es nicht rot genug.
Das war ein Baummarder mit braunem Fell und gelbem Kehlfleck, (im Gegensatz zum Steinmarder, der Autos annagt, grau ist und einen weißen Kehlfleck hat). Baummarder leben im Wald, im Gegensatz zu den anderen, die sich nachts gern im Oberstübchen von menschlichen Behausungen als Poltergeist betätigen.
Es war der erste Baummarder meines Lebens.
In Zeitlupe brachte ich den Feldstecher an die Augen und schaute, doch da flüchtete sich das possierliche Tierchen auch schon wieder ins Unterholz. Blöd, dass die so scheu sind.
Als es schon dunkel wurde, wanderte keine drei Meter links von mir ein knallroter junger Rehbock aus dem Wald, überquerte den Weg und naschte von der dortigen Hecke ein paar Knospen. (Rehe sind Feinschmecker). Dann zog er äsend über die Wiese...
Als es dunkel war, fuhr ich wieder heim.
Der Abend war überhaupt nicht langweilig.

Eines Tages wird die Natur wieder so sein, wie Gott sie sich ursprünglich gedacht hat. Doch noch sind wir nicht so weit. In der Zwischenzeit müssen wir uns arrangieren, denn wir haben es mit einer gefallenen Natur zu tun. Die will beherrscht werden. Romantisches Gedöns führt da nicht weiter.

"Und ein Sproß wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais.
Und er wird den Gewalttätigen schlagen mit dem Stab seines Mundes.
Und der Wolf wird beim Lamm weilen und der Leopard beim Böckchen lagern."
(Aus Jesaja 11,1-6).

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