Hygienedefizit?
"Als er aber redete, bat ihn ein Pharisäer, daß er bei
ihm essen möchte. Er ging aber hinein und legte sich zu Tisch. Als aber der
Pharisäer es sah, wunderte er sich, daß er sich nicht erst vor dem Essen
gewaschen hatte."
Lukas 11,36-37.
„Pastor, in der Bibel steht, Jesus hat sich die Hände nicht
gewaschen. Hatte er etwa ein Hygienedefizit?“
Ich fürchte, du verstehst da etwas falsch.
Das Wort für „essen“ ist laut dem griechischen Urtext „aristao“
und bedeutet „frühstücken.“ Es steht außer Frage, dass Jesus eine
Morgentoilette vorgenommen hat, also gewaschene Hände hatte. Alles andere ist
undenkbar, schließlich lebte er ein öffentliches Leben. Der Pharisäer spricht etwas völlig anderes an, nämlich das rituelle
Händewaschen, das auf eine Überlieferung der Alten zurückgeht und nicht auf ein
Gebot Gottes.
Egal ob sie saubere Hände hatten oder nicht, vor dem Essen
wuschen sich die Juden die Hände mit mindestens einer Eierschale voll Wasser,
indem sie erst die eine Faust in der einen Handfläche rieben und dann die
andere in der anderen. Taten sie dies nicht, betrachteten sie sich (überflüssigerweise)
als unrein, weil man sie so erzogen hatte.
Jesus sprengte diese Fessel.
Das ist alles.
Wenn er saubere Hände hatte, dann wusch er sie nicht noch
einmal, nur weil das alle machten. Jesus war kein Herdentier. Er dachte selber.
Seinen Jüngern machte man übrigens denselben Vorwurf. Was
Markus hierzu sagt, ist erhellend:
"Und als sie einige seiner Jünger mit unreinen, das ist
ungewaschenen, Händen Brot essen sahen—denn die Pharisäer und alle Juden essen
nicht, wenn sie sich nicht sorgfältig die Hände gewaschen haben, indem sie die
Überlieferung der Ältesten festhalten...—fragen ihn die Pharisäer und die
Schriftgelehrten: Warum leben deine Jünger nicht nach der Überlieferung der
Ältesten, sondern essen das Brot mit unreinen Händen?
Er aber sagte zu ihnen: 'Treffend hat Jesaja über euch
Heuchler geweissagt, wie geschrieben steht: "Dieses Volk ehrt mich mit den
Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie
mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren.' Ihr gebt das Gebot Gottes auf
und haltet die Überlieferung der Menschen fest." (Markus 7,1-8).
Die Pharisäer gaben das Gold von Gottes Wort auf und
verteidigten das Blech menschlicher Tradition mit Zähnen und Klauen. Denn es
ist viel leichter, eine für alle gut sichtbare Handwaschroutine abzuspulen, als
innere Werte wie Glauben und Zuversicht zu pflegen, die außer Gott zunächst niemand sieht.
Jesus hatte dafür deutliche Worte:
"Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler!
Denn ihr verzehntet die Minze und den Dill und den Kümmel [oder wascht euch ostentativ die Hände] und habt die
wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Recht und die
Barmherzigkeit und den Glauben. Diese hättet ihr tun und jene nicht lassen
sollen." (Matthäus 23,23).
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