Der Stern von Bethlehem

"Als aber Jesus zu Bethlehem in Judäa geboren war, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise vom Morgenland nach Jerusalem, die sprachen: Wo ist der König der Juden, der geboren worden ist? Denn wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, ihm zu huldigen."
Matthäus 2,1-2.

Es war ein ruhiger Abend.
Caspar und Melchior standen auf der Terrasse der Sternwarte in Babylon und blickten hinaus auf die nächtliche Stadt. Der Himmel über ihnen war heute wie ein schwarzes Tuch mit tausenden von Löchern, durch die das Licht dahinter durchschien.
„Schön, nicht?“ sagte Caspar.
Melchior nickte. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass es über ihm heller wurde. Er blickte auf. Mit großen Augen deutete er nach oben. „Caspar, schau mal.“
Auch Caspar blickte nun nach oben. Er schluckte. „Das ist aber mal ein großer Stern.“
„Der ist nicht normal,“ sagte Melchior.
Die Kugel aus Licht war in der Tat größer als der größte Stern, den die beiden Weisen je gesehen hatten. Er war nicht ganz so groß wie der Mond, aber er hatte einen Vorhof wie dieser manchmal einen hatte, wenn das Wetter danach war, und schien eingebettet in eine Wolke.
Balthasar kam die Treppe herauf. Als auch er das Licht sah, stand er still und sagte, „Wau.“
„Schön, nicht?“ sagte Caspar noch einmal.
„Er bewegt sich,“ stellte Melchior fest. „Er fährt nach Westen.“
„Das erinnert mich an was, das ich neulich gelesen habe,“ sagte Balthasar.
„Was hast du denn gelesen?“ sagte Caspar.
„Das Buch von Obervorsteher Daniel,“ entgegnete Balthasar.
Die anderen beiden wussten gleich, von wem er sprach, obwohl das Buch des legendären Obervorstehers hunderte von Jahren alt war.
„Und was genau hast du da gelesen?“ sagte Caspar.
„Ich kenne die Stelle auswendig,“ sagte Melchior, der alte Fuchs, der genau wusste, worauf Balthasar anspielte.
„Schieß los,“ sagte Caspar.
„Ich schaute in Gesichten der Nacht,“ begann Melchior, „und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn.“
Caspar deutete nach oben. „Du denkst, das dort oben ist…“
Balthasar nickte.
Melchior fuhr fort, „Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum so, daß es nicht zerstört wird.“
Obervorsteher Daniel war von königlicher Abstammung gewesen. Der Mann hatte von einem geheimnisvollen König aus dem Hause Juda geschrieben, der eines Tages kommen und die Welt beherrschen würde. Daniel hatte ihn „den Gesalbten“ genannt.
Konnte es sein, dass da oben...
„Wann soll er denn kommen,“ sagte Caspar, „der ewige König?“
„Daniel hat auch darüber etwas gesagt,“ sagte Balthasar. „Da müsste ich aber noch mal schnell nachschauen.“
Die beiden anderen hörten seine Schritte auf der Treppe. Wie gebannt blickten sie noch immer auf die Erscheinung über ihnen, die langsam nach Westen driftete. Manchmal schien der Stern zu verharren, ganz so als wollte er sie auffordern, ihm zu folgen.
Balthasar hatte die Schriftrolle in der Hand und las, während er die Stiege wieder heraufkam. Er murmelte etwas von sieben Wochen und 62 Wochen und kam auf 69 Wochen. Dann multiplizierte er das Ganze mit sieben und sagte schließlich, „Von dem Befehl, Jerusalem wieder aufzubauen, bis zum Gesalbten, dem Fürsten, sind es 483 Jahre.“
„Wie lang ist es denn her, dass der Befehl, Jerusalem wieder aufzubauen, erging?“ sagte Caspar.
Balthasar zählte seine Finger ab und rechnete. Dann sagt er, „483 Jahre.“
Die drei Weisen blickten sich mit großen Augen an.
„Dann ist das da oben tatsächlich was Prophetisches…“ sagte Caspar.
„Ein Zufall ist das nicht,“ sagte Melchior.
„Daniels 'Menschensohn' ist unterwegs,“ sagte Balthasar mit Bestimmtheit. „Ich sag euch, irgendwo auf dieser Welt wird in diesen Tagen dieser göttliche König, der über alle Völker herrscht und dessen Reich nie vergeht, geboren. Er kommt mit Wolken des Himmels. Das da oben ist sein Stern.“
„In Judäa?“ sagte Melchior. Daniel war vom königlichen Geschlecht aus dem Hause Juda gewesen.
„Der Stern bewegt sich,“ stellte Caspar fest. „Warum folgen wir ihm nicht einfach?“
Die anderen waren sofort Feuer und Flamme.
„Aber wir können nicht mit leeren Händen aufkreuzen,“ warf Melchior ein. „Wir haben es hier mit einem ziemlichen König zu tun. Dem sollten wir angemessen huldigen.“
Alle drei nickten bedächtig.
„Also, ich bring ihm Gold mit,“ sagte Caspar. „Gold ist das Geschenk für Könige.“
„Und ich Weihrauch,“ fügte Melchior schnell hinzu. „Das kann er seinen Priestern geben, die für sein Volk bitten werden. Die mögen das in Rauch aufgehen lassen.“
Balthasar überlegte. Seine Kollegen hatten ihm das Naheliegendste schon weggeschnappt. Doch dann sagte er, „Myrrhe. Ich bring ihm Myrrhe mit.“
„Warum denn das?“ sagte Caspar. Myrrhe brauchte man, um Tote einzubalsamieren.
„Das erkläre ich euch auf dem Weg,“ sagte Balthasar. „Es gibt da nämlich noch ein paar andere Propheten aus dem Land Juda, ältere als Daniel. Die haben auch über diesen kommenden König geredet. Die habe ich auch gelesen.“
„Klingt spannend,“ sagte Caspar.
„Vor allem dieser Jesaja. In Kapitel 53 seines Buches schreibt der Sachen...“
„Der Stern bewegt sich,“ unterbrach Melchior. „Wir müssen los.“
Noch in dieser Nacht brachen sie auf.

"Nach diesem sah ich: und siehe, eine große Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen, stand vor dem Thron und vor dem Lamm, bekleidet mit weißen Gewändern und Palmen in ihren Händen. Und sie rufen mit lauter Stimme und sagen: Das Heil unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm!" (Offenbarung 7,9-10).

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