Die sommerliche Stille der Häuser auf dem Lande

„Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel!“
4 Mose 24, 5.

Es ist Sonntagnachmittag.
Ich sitze auf der Terrasse und lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Frau und Tochter sind in die Ferne entfleucht, eine Freundin hat sie mir entführt.
Heute morgen graste hundert Meter hinter meinem Haus ein knallrotes Schmalreh mit wackelnden Ohren, und nun schwelgt die Natur neben meinem Liegestuhl im Blütenrausch. Lilien duften, Engelstrompeten packen ihre Instrumente aus und stimmen sich ein, der Oleander legt sich mächtig ins Zeug. Viele der bunten Knäuel, Trichter und Sonnen auf ihren Stielen kenne ich gar nicht mit Namen.
Der Tomatenstrauch ächzt schwer unter seiner roten Last.
Wenn ich die Augen halb zukneife und nach links rüberblicke, dorthin, wo sich die Sonne in den Scheiben spiegelt, bei den Kakteen—der größte Kaktus ist immerhin mehr als einen Meter hoch—dann könnte ich mir mit etwas Fantasie einbilden, ich läge irgendwo auf einer Veranda in Arizona herum.
Oder in Texas.
In der Ferne heult ein Kojote und irgendwo spielt jemand Banjo; Hufgetrappel ertönt, ein Indianerpfeil zischt vorbei und steckt zitternd in einem Baum…
Ich mache die Augen wieder auf.
Mein Privatparadies ist umgeben von einer großen Hecke, die einen denken lässt, hinter ihr begönne der Wald. Da liege ich also und genieße das Leben. Ich bin nicht ganz so spärlich bekleidet wie Adam, trage aber nur unwesentlich mehr. Sieht mich eh niemand.

Und da passiert es!
Es raschelt und im nächsten Moment taucht aus dem Nichts ein Eichhörnchen auf meiner Terrasse auf. Es nimmt mich überhaupt nicht war, denn es hoppelt schnurstracks auf mich zu. Einen Meter vor meiner Liege verharrt es und schnüffelt am Boden. Es schaut mich mit seinen schwarzen Knopfaugen treuherzig an. Irgendetwas kommt ihm spanisch vor. Es hopst zum Terrassenrand, verschwindet im Wacholderbusch und im nächsten Moment taucht es wie Käpt'n Nemo aus dem grünen Meer am oberen Waldrand auf.

Kaum ist der braune Puschel verschwunden, summt eine strahlend blaue Libelle heran. Ob es nun eine Prachtlibelle oder eine Flussjungfer ist, weiß ich nicht, da ich gerade kein Lexikon zu Hand habe, und sie sich nicht bei mir niederlässt. Ich vermute aber, dass es eine Helm-Azurjungfer ist. Ein entsprechender Bach fließt an unserem Haus vorbei.

Ich schlappe durch das Gras, werfe den Biomüll auf den Kompost und wer schwirrt um mich herum wie der Doppeldecker um King Kong?
Eine Hornisse.
Hornissen sind wenig aggressiv. Wenn man keinen Streit mit ihnen anfängt, lassen sie einen in Ruhe. Prompt setzt sich das schwarz-gelbe Panzertier auf ein Blatt, das da im Kompost liegt, und nun kann ich sie eingehend studieren. Schüchtern wie sie ist, verschwindet sie bald im Innern des Komposthaufens und ich schlenderte wieder zurück auf meine Terrasse.

Ich gieße die Blumen und wende mich dem hart arbeitenden Ziertomatenstrauch zu, als ein Eidechslein, kaum acht Zentimeter lang, aus seinem Schatten tritt und mir die Zunge bleckt. Auch dieses kleine Tier ist die Ruhe selbst. Es verschwendet keinen Gedanken an Flucht. Ich frage mich, ob das kleine Vieh durch die offene Tür ins Wohnzimmer wandern wird und erinnere mich an Geckos, die ich in Hotelzimmern auf dem indischen Land und sogar im Himalaya vorgefunden habe. Das sind dort prima Mückenvertilger und man lässt sie gewähren. Doch meine Echse überlegt es sich anders und watschelt auf den niederen Bewuchs am Rand der Terrasse zu, wo der Minidrache im Dschungel verschwindet.
Ich schließe die Augen, lehne mich zurück und grinse. Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Urlaubsparadies gleich hinterm Haus anfängt?

„Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (1 Mose 1, 31).

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