Zwei Arten von Wahrheit

„Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“
Johannes 14, 6.

Habe neulich den Orient bereist und dort gehört, dass es zwei Arten von Wahrheit gibt.
Mit der ersten sind wir vertraut. Der Sprecher nannte sie: Die griechische Art der Wahrheit.
Die griechische Wahrheit ist streng rational. Bei ihr ergibt 2 + 2 stets 4 und nichts anderes. Ein Mensch mit diesem Wahrheitsverständnis versucht, hinter die Kulissen zu blicken und die wahre Motivation hinter Taten und Worten zu ergründen. Diese Wahrheit zwingt quasi zum Seelenstriptease.
Diese Wahrheit kann schmerzhaft sein.
Heilsam natürlich auch, etwa wenn die Wahrheit endlich ans Tageslicht kommt und ein Schuldiger seine Schuld bekennt oder überführt wird.
Die Griechen hatten dieses Verständnis von Wahrheit und wir haben es über die Römer übernommen, (wenn wir es nicht schon vorher hatten).

Und dann gibt's da noch die orientalische Version der Wahrheit.
Ein Orientale, so der mit dem Orient bestens vertraute Sprecher neulich, denkt die Wahrheit von der Beziehung her. Was ist momentan gut für die Beziehung? Wenn ich einem Orientalen eine Frage stelle, dann fragt er sich, was ich hören will, bevor er antwortet. Und das sagt er mir dann. Als Wahrheit.
Der Sprecher hatte ein interessantes Beispiel parat: Ein Orientale war bei einer Prostituierten. Nun kommt er nach Hause und seine Gemahlin sieht das blonde Haar am Kragen und den Knutschfleck auf der Backe. Außerdem riecht sie das Parfüm der fremden Frau.
„Du warst bei einer fremden Frau!“ sagt sie bestürzt.
Und dann sagt er die Wahrheit: „Nein.“
Denn das ist, was seine Frau nun hören muss. Nur eine solche Antwort erhält die Beziehung. Die wahre Wahrheit würde zu einer großen Belastung werden. Er hätte seine Ehre verloren, er würde seine Frau verlieren, er hätte Schande über die Familie gebracht, gäbe er zu, tatsächlich eine Hure besucht zu haben. Und so ist die Wahrheit für ihn: Nein, ich war nicht bei einer fremden Frau.
Und seine Umwelt akzeptiert das.

Es ist gut zu wissen, dass es verschiedene Haltungen zur Wahrheit gibt. Wenn zwei dasselbe sagen, meinen sie noch lange nicht dasselbe. Auf den Sprecher kommt es an.

Welche Haltung hat Gott zur Wahrheit? Neigt er der griechischen oder doch eher der orientalischen Version zu? Die Antwort ist eindeutig: „"Dein Thron, o Gott, ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, und das Zepter der Aufrichtigkeit ist Zepter deines Reiches.“ (Hebräer 1, 8).
Sein Zepter ist Aufrichtigkeit.
Aufrichtigkeit ist eng verbunden mit Ehrlichkeit.
Ehrlichkeit und Wahrheit sind engstens miteinander verwandt.

Gott liebt Menschen, die die wahre Wahrheit lieben:
„HERR, wer darf in deinem Zelt weilen? Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berg? Der rechtschaffen wandelt und Gerechtigkeit übt und Wahrheit redet in seinem Herzen.“ (Psalm 15, 1-2).
Und:
„Jesus sah den Nathanael zu sich kommen und spricht von ihm: Siehe, wahrhaftig ein Israelit, in dem kein Trug ist.“ (Johannes 1, 47).

Die eine Art Wahrheit gibt Leben, die andere führt ins Chaos.

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