Führe uns nicht in Versuchung?
"...und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette
uns von dem Bösen."
Matthäus 6, 13
Die anfänglichem Bitten des Vaterunsers sind relativ leicht
verständlich.
"Vater unser, geheiligt werde dein Name" klingt vielleicht
etwas kryptisch. Das könnte man auch wiedergeben mit "Dein Name werde mit
Respekt behandelt."
Die Bitten um Brot und Vergebung erklären sich praktisch von
selber.
Doch dann wird's ein wenig mysteriös.
"Führe uns nicht in Versuchung"?
Führt Gott uns denn Versuchung, dass Jesus ihn ausdrücklich
bittet, dies nicht zu tun?
Nun, das Wort im griechischen Urtext für
"Versuchung" ist peirasmos. Es bedeutet Versuchung oder Test.
Testet Gott Menschen?
Natürlich testet Gott uns. Es ist praktisch unmöglich, nicht
getestet zu werden. Die bloße Existenz des Gesetzes war für Israel ein Test:
Würden sie es halten oder übertreten?
Jesus ist ein Test für die Menschheit.
Eine der Fragen, die Gott jedem Menschen eines Tages stellen
wird, lautet: Was hast du mit meinem Sohn gemacht? Hast du ihn angenommen oder
abgelehnt?
Ein Test zeigt, was in einem Menschen steckt. Insofern sind
Tests zu begrüßen.
Doch das Wort bedeutet auch "Versuchung."
Eine Versuchung ist nicht unbedingt ein Test.
Das Wort Test ist positiv besetzt: Wenn ich einen Test
bestehe, dann werde ich befördert.
Versuchung ist hingegen etwas durch und durch negatives. Der
Zweck einer Versuchung ist, mich zu Fall zu bringen, mir zu schaden.
In Jakobus 1, 13-14 heißt es, "Niemand sage, wenn er
versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht
werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand. Ein jeder aber wird
versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird."
Eine Versuchung kommt nie von Gott.
Doch er kann zulassen, dass unsere Begierden uns ziehen und
locken.
Jesus beispielsweise wurde nach seiner Taufe vom Geist in
die Wüste geführt, "um von dem Teufel versucht zu werden." (Matthäus
4, 1). Der versuchte unter anderem, die Begierde des Hungers auszunutzen
nachdem Jesus 40 Tage gefastet hatte. Doch Jesus widerstand ihm siegreich,
indem er sich auf das Wort Gottes berief und zu jeder Versuchung ein passendes
Bibelwort hatte.
Jesus fordert seine Jünger in Gethsemane auf, zu wachen und
zu beten, damit sie nicht in Versuchung fallen, denn "Der Geist zwar ist
willig, das Fleisch aber schwach." (Markus 14, 38). Der Herr wusste, dass
die Jünger dabei waren, mit einer hässlichen, schwer verständlichen Situation
konfrontiert zu werden. Er konnte die Herausforderung, die das Kreuz für sie
darstellte, jedoch nicht verhindern.
Die mussten da durch.
Er forderte sie auf zu beten, um zu verhindern, dass sie im
Moment der Krise völlig auseinanderfallen.
"Führe uns nicht in Versuchung" bedeutet also,
"Bewahre uns vor Situationen, die uns aufgrund der Schwäche unseres
Fleisches überfordern können."
"Sondern erlöse uns vom Bösen."
Das Wort "erlösen", griechisch rhyomai, bedeutet
"erretten, erlösen" und "etwas deichseln."
Sehr interessant.
Etwas deichseln heißt, etwas Schwieriges zustande zu
bringen. "Deichsle uns weg vom Bösen" heißt soviel wie, "Vollbringe
das Kunststück, löse mein Problem und mach, dass die Anstrengungen des Bösen mir auch noch
irgendwie zum Segen gereichen müssen."
Gibt's das?
Das gibt's!
Wir erinnern uns:
Nachdem die Versuchung des Hiob vollendet war, bekam er das
Doppelte von allem, was er vorher verloren hatte. Selbst mit einer besseren
Familie segnete ihn der Herr. (Die vorige, geistlich und moralisch zweifelhafte
Truppe war ja umgekommen).
Steckst du in Schwierigkeiten?
Dann bete doch das Vaterunser, jetzt mit neuem Verständnis.
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