Die Sehnsucht nach geistlichen Vätern

"Wenn ihr zehntausend Zuchtmeister in Christus hättet, so doch nicht viele Väter; denn in Christus Jesus habe ich euch gezeugt durch das Evangelium."
1 Korinther 4, 15

Wenn man den christlichen Büchermarkt besieht, dann sieht man: Es besteht scheinbar ein großer Hunger nach geistlichen Vätern.
Allerdings denke ich, daß viele Christen die Figur des geistlichen Vaters, also einer (über)gemeindlichen vollmächtigen Bezugsperson, ein wenig romantisieren und ihr Sehnen eine geborgenheitsselige Sehnsucht nach einem seelisch-menschlichen Ideal ist, das es genausowenig gibt, wie den perfekten irdischen Vater.

Eigentlich hat jeder Christ einen geistlichen Vater, nämlich die Person, die einen zum Glauben geführt hat. Die hat man sich nicht ausgesucht, an die geriet man plötzlich.
Diese Personen haben einem das Glaubenseinmaleins beigebracht und sind von daher schon einzigartig in unserem Leben.
Möglicherweise lebt man sich dann ein wenig auseinander, auch das ist normal.
Man entwickelt sich weiter, schätzt aber den anderen immer noch.
In den wenigsten Fällen wird daraus jedoch eine Übervaterfigur, an die man sich immer und jederzeit anlehnen kann. Und wenn doch: Wäre das wünschenswert?

Die Bibel ist voll von geistlichen Übervätern. Ich bezweifle jedoch, daß der moderne Vatersucher mit ihnen besonders gut zurechtkäme.
Sie sind nämlich allesamt Wundertüten: Trotz ihrer phänomenalen geistlichen Kompetenz waren sie oft als Menschen nicht ganz leicht.

Mose hat man plötzlich monatelang nicht mehr gesehen. Er war einfach weg. (Auf dem Berg bei Gott).
Josua hat bestimmte Diebe steinigen lassen.
David war allen ein wunderbarer König--es sei denn, man hieß Uria und hatte eine schöne Frau.
Elia aß monatelang Fleisch, das ihm von Vögeln vorbeigebracht wurde. Wie wunderbar für seine geistlichen Söhne und Nachahmer.
Jeremia würde uns mit seinem Weltschmerz den letzten Nerv rauben.
Nehemia war ein starker Leiter. Vor ihm würde heute allerdings so mancher Reißaus nehmen, denn er konnte schonmal durchgreifen. Als einige Männer Frauen heirateten, die er nicht befürwortete, tat er folgendes:
"Da ging ich mit ihnen ins Gericht und verfluchte sie und schlug einige Männer von ihnen und raufte ihnen die Haare aus." (Nehemia 13, 25).
Ein biblischer, von Gott beglaubigter geistlicher Vater in Action.
Muß man mögen.

Paulus und Barnabas konnten sich so streiten, daß eine Erbitterung entstand. (Apostelgeschichte 15, 39).
Für welches Lager würde sich der heutige Vatersucher entscheiden? Für den rauschebärtigen Nikolaus namens Barnabas ("Sohn des Trostes"), der aus jeder Pore die reine pastoral-apostolische Güte verströmt? Oder für den knallhart-drahtigen Paulus, der auf Barnabas' Personalvorschlag partout nicht eingehen wollte, (weswegen die Erbitterung entstand)? Barnabas wollte Johannes Markus auf Missionsreise mitnehmen, Paulus nicht. Denn JM hatte die Missionsgemeinschaft auf der letzten Reise schmählich verlassen.
Die meisten würden dem sanften, gütigen Barnabas folgen.
Doch die Apostelgeschichte geht mit Paulus weiter.

Der geistliche Übervater Petrus konnte prima mit Nichtjuden Schweinswürstel essen. Doch als Juden ankommen, wechselt er blitzschnell an den koscheren Tisch und heuchelt Treue zum mosaischen Gesetz. Dafür wird er von Paulus öffentlich geschimpft.
Sehr väterlich inspirierend, nicht?

Ich persönlich habe festgestellt, daß immer dann, wenn ich gern dringendst mal einen geistlichen Vater zu Rate gezogen hätte, gerade keiner zur Verfügung stand. Die Angesprochenen hatten entweder kein Interesse oder gerade keine Zeit, obwohl der gute Wille da war.
Ich fragte mich irgendwann, ob das wohl Absicht war von Gott.
Denn letzten Endes war es immer Gott, auf den ich zurückfallen mußte und der mir in Krisen geistlicher Vater war.

So wurde mir nie ein Mensch zum Gottesersatz.

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