Von der Berechtigung unterschiedlicher Überzeugungen im Herrn

„Der eine hält einen Tag vor dem anderen, der andere aber hält jeden Tag gleich. Jeder aber sei in seinem eigenen Sinn völlig überzeugt.“
Römer 14,5.

„Jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“
1. Korinther 3,10-11.

„Pastor, du hast in deiner letzten Sonntagspredigt gesagt, dass unter Christen unterschiedliche Überzeugungen durchaus ihre Berechtigung haben und damit gar wünschenswert sind. Kannst du darauf noch mal eingehen?“

Klar.
Das Fundament, auf dem jeder Christ steht, ist der Glaube an das Erlösungswerk Jesu Christi. Wer denkt, er brauche das stellvertretende Sühneopfer Christi nicht, ist kein Gläubiger im biblischen Sinn. Jesus als Offenbarung des unsichtbaren Gottes ist die Zentralfigur des Christentums, um die sich alles dreht und die alle Christen miteinander verbindet.
Wir sind gemeinsam der Leib Christi.
Doch ein Leib besteht nicht nur aus Hand oder Fuß oder Ohren. Jedes Teil hat eine unterschiedliche Aufgabe. Gott verfolgt unterschiedliche Pläne mit ihnen, die sich ergänzen und ein ausgewogenes Ganzes ergeben.

Zum Beispiel sagte Jesus einerseits: „Gib jedem, der dich bittet, und von dem, der dir das Deine nimmt, fordere es nicht zurück.“ (Lukas 6,30). Das hört sich an wie ein Aufruf zum Pazifismus—ja, dazu, sich einer etwaigen Plünderung nicht zu widersetzen.
Andererseits sagt derselbe Jesus auch: „Wenn der Hausherr gewußt hätte, zu welcher Stunde der Dieb kommen würde, so hätte er gewacht und nicht erlaubt, daß sein Haus durchgraben würde.“ (Lukas 12,39). Dies wiederum ist ganz klar ein Aufruf zum robusten Widerstand. Dem Dieb wird das Haus nicht zu Plünderung überlassen, sondern er wird gestoppt.
Diese beiden Stellen können zu unterschiedlichen Erkenntnissen führen, je nachdem, wo man für sich den Schwerpunkt setzt. (Meist passiert dies unbewusst). Der eine Bibelleser wird über seiner Lektüre zum Friedensaktivisten, der andere zum Polizisten, der Einbrecher jagt. Und jeder hält den anderen für nicht ganz gescheit.
Dabei stehen BEIDE Stellen in der Bibel!
Weise ist nun, wer weiß, wann welche Stelle dran ist. Wann es richtig ist, nachzugeben, und wann es richtig ist, Widerstand zu leisten. Beides hat seine Berechtigung.
Manchmal ist die eine Stelle dran, manchmal die andere.

Ein Beispiel aus Oklahoma, wo ich mal ein paar kurze Jahre gelebt habe:
Dort hatte man vor 140 Jahren große Probleme mit plündernden und mordenden Indianern.
In Oklahoma leben fünf christianisierte Stämme, etwa die Cherokee. Die Wichita waren friedliche Bauern. Doch vor allem umherstreifende Komantschen und Apachen taten sich mit unglaublichen Grausamkeiten hervor.
Was tun? fragte sich die Regierung in Washington, denn so konnte es nicht weitergehen. Präsident Ulysses Grant, an einer Christianisierung der Indianer und einer Besserung ihrer Lebensumstände interessiert, erinnerte sich daran, dass die friedlichen Quäker um Staatsgründer William Penn in Pennsylvania seinerzeit außerordentlichen Erfolg im Umgang mit Indianern hatten. Die Quäker waren zwar praktisch Totalpazifisten, hatten aber das Wunder vollbracht, 100 Jahre lang mit ihren indianischen Nachbarn in Frieden zu leben. Erst danach gab es Übergriffe durch Indianer und die Stimmung änderte sich.
Warum also nicht die Indianeragentur für die Southern Plains, die südliche Prärie, den Quäkern anvertrauen?
Gesagt, getan.
Dieselben Häuptlinge, die während des Sommers texanische Siedlungen plünderten, kamen dann im Herbst nach Fort Sill, Oklahoma, zur Indianeragentur, um dort Lebensmittel und Kleider einzufordern.
Und der Beamte gab ihnen, was sie verlangten—obwohl sich diese Häuptlinge (Satank, Satanta, Eagle Heart, Big Tree, Guipago...) mit ihren Gräueltaten vor ihm brüsteten und auf gestohlenen Maultieren herbeiritten. Der friedliebende Quäker nahm alles hin.
Siedler starben und die US-Regierung in Form hingegebener Christen verpflegte ihre Mörder und brachte sie gut über den Winter. Jahr für Jahr.

Die Zeit der Gnade steuerte jedoch auf ein Ende zu.
General Sherman, (dessen Name noch heute in den Südstaaten averse Reaktionen hervorruft), ritt nämlich nach Westen, um sich selbst ein Bild zu machen, da er die Berichte der Gräuel für übertrieben hielt. Unterwegs mit nur 15 Mann, begegnete er einer Planwagenkolonne. Wenig später erreichte er Fort Sill. Kurz darauf kamen Überlebende mit der Nachricht, die Kolonne sei von 100 Indianern überfallen worden, der General wäre selbst beinahe Opfer ihres Überfalls geworden, die Indianer hätten ihn gesehen, hätten ihn aber ziehen lassen. Sieben Weiße seien ermordet, einer von ihnen sei bei lebendigem Leib verbrannt worden.
Kurz darauf kamen die Häuptlinge, um sich ihre Rationen bei der Indianeragentur abzuholen. Der Beamte fragte, ob sie wüssten, wer die Nachschubkolonne überfallen habe, und die Häuptlinge sagten ja, sie selber wären es gewesen.
General Sherman wurde herbeigerufen und Satanta und Big Tree bekannten freimütig, was sie getan hatten, im Glauben, wie immer damit durchzukommen.
Doch Sherman setzte sie fest und bestand darauf, die Häuptlinge wie weiße Verbrecher zu behandeln und abzuurteilen. Sie wurden zum Tod verurteilt, doch dies wurde, nicht zuletzt auf Betreiben der Quäker, in lebenslänglich umgewandelt. Sie kamen nach nur zwei Jahren wieder frei und die Plünderungen gingen weiter.
Diesmal reagierte die Regierung jedoch mit Härte und schickte das Militär.
Satanta und Big Tree mussten zurück ins Gefängnis.
Satanta beging dort Selbstmord.
Big Tree hingegen kam frei und bekehrte sich zum Christentum. Der ehemals grausame Häuptling wurde sogar zu einem Prediger der Baptisten. Er starb 1929.

Zwei Vorgehensweisen.
Beide waren richtig—zu ihrer Zeit.

„Siehe, jetzt ist die wohlangenehme Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils.“ (2. Korinther 6,2).
„Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ (Hebräer 10,31).

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