Ist Religion Privatsache?

„Aus deinen Gesetzen empfange ich Einsicht. Darum hasse ich jeden Lügenpfad! Eine Leuchte für meinen Fuß ist dein Wort, ein Licht für meinen Weg.“
Psalm 119,104-105

Viele Menschen hierzulande vertreten die Ansicht, Religion wäre Privatsache. Man könne glauben, was man wolle, solange man sonst niemanden—schon gar nicht die breite Öffentlichkeit—mit seinem Glauben behelligt. Alle sollen sich gefälligst an die Gesetze, Rechten und Pflichten hierzulande halten, dann brauche man überhaupt keine Religion.
Diese Denkweise hat jedoch gravierende Mängel.
Denn „Gesetze, Rechten und Pflichten“ eines Landes gründen sich auf eine Moral.
Diese kollektive Moral wird geprägt von den tiefsten gemeinsamen Überzeugungen der Bürger.
Diese tiefsten Überzeugungen wiederum haben eine Quelle, nämlich das, was wir einen Glauben nennen.
Wobei wir wieder bei der Religion angelangt wären.
Es gibt keine Gesetze, die nicht von einer Moral inspiriert wären.
Jede Moral wird von einem Glauben inspiriert.
Unser Moralverständnis ist in weiten Teilen noch immer vom Christentum geprägt. Der Humanismus hat viel davon ausgehebelt, (wobei das vielen gar nicht bewusst ist, da der Humanismus wie eine Version des Christentums daherkommt, nur halt ohne Gott). Das Christentum verehrt Jesus und seine Ideale, die in den 10 Geboten und dem Neuen Testament ausbuchstabiert sind. Der Humanismus dagegen verehrt den (gefallen) Menschen und hält dessen Launen und Lüste für legitime Bedürfnisse, denen gesetzgeberisch Bahn gebrochen werden muss, gern unter völliger Missachtung christlicher Ideale. Insofern sind Christentum und Humanismus keine Geschwister.
Egal.
Menschen orientieren sich beim Wählen an ihren tiefsten Überzeugungen (ihrem Glauben) und prüfen, ob ihre Volksvertreter diese teilen. Tun sie das, fließt der gemeinsame Glaube in den gesetzgeberischen Prozess mit ein.
Und prägt das Land.
Wenn nun Menschen mit völlig anderen moralischen Vorstellungen in großer Zahl Volksvertreter bestimmen, dann ändern sich die Gesetze und das Land erhält über kurz oder lang ein neues Gesicht.
Religionen erklären den Menschen, was (nach Ansicht der jeweiligen Religion) gut und böse ist, und da gibt es gravierende Unterschiede. Was der eine Glaube richtig und gut nennt, verdammt der andere in Grund und Boden.
Insofern ist es überhaupt nicht trivial, was die Leute glauben.
Und deshalb ist es auch für eine in weiten Teilen geistlich desinteressierte Gesellschaft vollkommen gerechtfertigt, einer Religion vor einer anderen den Vorzug zu geben. Schon aus Eigennutz.

Die Türkei beispielsweise übernahm nach der Abschaffung der Scharia durch Atatürk 1924 das schweizerische Zivilrecht, das deutsche Handelsrecht und das italienische Strafrecht.
Warum?
Weil der Glaube, die Moral und die innersten Überzeugungen der Gesetzgeber dieser Länder im Lauf der Zeit zu guten Gesetzen geführt haben, was die adleräugige Gruppe um Kemal damals erkannt hat. Frauen etwa wurden massiv aufgewertet, (und nicht nur, weil man die neutestamentliche Einehe einführte).
Von wegen, Religion ist Privatsache.
Religion ist etwas hochpolitisches, (wenn auch um drei Ecken).

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